Wir waren disponibel - Deutsch-deutsche Lebenswege
Dieses Buch zeichnet die verschiedenen Lebenswege von höchst unterschiedlichen Menschen auf. Sie alle eint, dass sie 1969 an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena ein Physikstudium begannen und es erstmals in nur vier Jahren mit einem Diplom abschließen sollten. Sie teilten die Freude an Naturwissenschaft und Technik und sie waren neugierig auf kommende Herausforderungen. Sie entwickelten dabei eine hohe Beharrlichkeit, einen großen Durchhaltewillen und eine hohe Frustrationstoleranz. Alles Eigenschaften, die sie in ihrem späteren Berufsweg brauchten.
Nach ihrem Studium wies die staatliche Absolventenlenkung den frisch diplomierten Physikern Arbeitsstellen in Industriebetrieben in der ganzen DDR zu. Letztendlich arrangierte man sich, heiratete, wartete auf eine Wohnung und erzog seine Kinder. Nur ganz wenige entschieden sich, für einen anderen Weg. Sie sattelten um, ergriffen einen anderen Beruf oder verließen die DDR, wenn das Leben hier nicht mehr zu ertragen war, teils durch Flucht, teils durch Ausreiseantrag. Mit dem Fall der Mauer wurde der Zusammenbruch der DDR eingeleitet. Dieses einschneidende Ereignis zerstörte bis dahin geradlinig verlaufende Karrieren, gab aber gleichzeitig den Blick auf neue Chancen und Möglichkeiten frei.
Freundschaften zerbrachen, weil Geheimnisse plötzlich öffentlich wurden. Alles ist anders, selbst der Klingelton des Telefons. Wer sich jetzt nicht an die Marktwirtschaft anpasst, kommt unter die Räder. Die „Kolonialisierung des Ostens durch den Westen“ (Richard David Precht) zeigte ihre Wirkung. Während manche Physiker keinen Tag arbeitslos waren und ihre Arbeit fortsetzen konnten, hangelten sich andere von einer Weiterbildungsmaßnahme zur anderen, nur um am Ende wieder in der Statistik des Arbeitsamtes aufzutauchen. Wie viele Tränen in dieser Zeit flossen, weiß niemand. Erst als sich der Staub des Umbruchs gelegt hatte, sahen die Menschen wieder Licht am Ende des Tunnels. Es sind nicht die Heldengeschichten, wie sie immer zu Jubiläen zu hören bekommen werden, sondern die etwas leiseren Töne. Diesmal aus der Perspektive von unten, authentisch und ungefiltert.
Inzwischen haben die damaligen Studenten das Rentenalter erreicht. Viele widmen sich ihren Enkeln oder ihrer Familie und genießen den wohlverdienten Ruhestand, andere arbeiten immer noch, weil sie das wollen und weil sie das können. Deshalb zeigt dieses Buch das breite Spektrum der Möglichkeiten einer „Schicksalsgemeinschaft“, die sich zufällig am 1. September 1969 in Jena traf. Nichts war vorhersehbar und doch ergeben sich aus der Rückschau oft überraschende, außergewöhnliche und charakteristische Aspekte.